Paris, Texas bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen
Der Anfang der achtziger Jahre von Wim Wenders gedrehte Kultfilm „Paris, Texas“ erzählt in langsamen, bedächtigen Einstellungen die Geschichte von Travis, der völlig entkräftet am Rande der Wüste zusammenbricht und nicht in der Lage ist, sich gegenüber seinem Retter über sein Schicksal zu äußern. Durch eine Visitenkarte, die er zufällig bei sich trägt, kann Travis jüngerer Bruder Walt ermittelt werden, der mit seiner Frau Anne und Travis Sohn Hunter in Los Angeles lebt. Seit vier Jahren hat Walt nichts mehr von Travis gehört, auch nicht von dessen Ehefrau Jane, die ebenfalls verschwunden ist.
Walt macht sich sofort auf, um den sichtlich verstörten Travis abzuholen. In Walts Haus in LA trifft er auf seinen inzwischen sieben Jahre alten Sohn Hunter, kann aber erst allmählich wieder den Kontakt zu ihm herstellen. Von Anne erfährt Travis, dass seine Frau Jane unregelmäßig Geldbeträge aus Houston, Texas auf ein Bankkonto für ihren gemeinsamen Sohn Hunter überweist.
Später machen sich Travis und Hunter gemeinsam auf den Weg nach Houston, um Jane ausfindig zu machen. Travis entdeckt sie in einer Peepshow, ist aber nicht in der Lage, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Bei einem zweiten Besuch erzählt er ihr mit dem Rücken zum Einwegspiegel seine Geschichte: Ein wesentlich älterer Mann verliebt sich in eine Siebzehnjährige. Schon bald wird der Mann eifersüchtig und beginnt zu trinken. Das Mädchen wird schwanger und bringt einen Jungen zur Welt. Der Mann erlebt die zunehmende Unzufriedenheit des Mädchens. Im Rausch fesselt er das Mädchen an einen heißen Ofen und legt sich schlafen. Als er vom Brandgeruch erwacht, sind das Mädchen und sein Sohn verschwunden.
Jane hat inzwischen verstanden, dass der Mann vor ihr in der Kabine nur Travis sein kann. Sie erfährt noch, dass sie den gemeinsamen Sohn in einem Hotelzimmer in Houston finden wird. Travis wartet auf dem Hotelparkplatz, bis Jane Hunter gefunden hat, dann verschwindet er.
Der Intendant und Regisseur Sebastian Hartmann vom Leibziger Centraltheater hat nun versucht, den vielschichtigen Film von Wim Wenders für das Theater umzusetzen. Die Rolle der Jane spielt die 39-jährige dreifache Bambi-Preisträgerin Heike Makatsch, keine leichte Aufgabe, da sie sich mit der grandiosen Charakter-Darstellerin Nastassja Kinski vergleichen lassen muss. Also darf die Makatsch auch gleich zu Beginn der Vorstellung auf die Bühne, um dort zu beginnen, wo der Film endet, in der Peepshow, wo sich die Akteure nach vierjähriger Odyssee endlich wieder gegenüber sitzen. Dann wird die Handlung im Wesentlichen auf das Diner konzentriert, wo der agile Walt seinen verstört stummen Bruder Travis in Empfang nimmt. Die nicht lineare Erzählweise des Regisseurs kann als Kunstgriff gewertet werden, eine Nacherzählung der Filmhandlung wäre sicher dem dramatischen Stoff nicht gerecht geworden.
Hier kommt nun die Kreativität des Regisseurs ins Spiel. Sebastian Hartmann will originell sein und bereichert die tiefen menschlichen Konflikte mit allerlei Gimmicks und Gags, angefangen von der referierten Relativitätstheorie Einsteins über eingestreute Videosequenzen angreifender Kavallerie bis hin zum finalen Affentanz des Alter-Ego des jungen Hunter. Das Ruhrfestspiel-Publikum, sonst Experimenten durchaus aufgeschlossen, goutierte diese Regieeinfälle nicht durchgängig.
Viel Beifall fand dagegen der Soundtrack des Gitarristen Steve Binetti, der viele Szenen an der E-Guitarre untermalte und Heike Makatsch begleitete, als diese ihre 20-minütige Gesangseinlage zum Besten gab. Der Bezug zum Stück hat sich mir dabei nicht erschlossen.
Insgesamt war der zweieinhalbstündige Theatermarathon ein zwiespältiges Erlebnis, auch wenn die melancholisch-düstere Atmosphäre und die Darstellung der menschlichen Konflikte zu beeindrucken wussten.
Geschrieben am 14. Mai 2011, vor 14 Jahren
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